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Preußen, -und das Publikandum von 1815
oder: warum Erfindungen höchst unverträglich mit der Gemühtsruhe sind

In Deutschland brachte der Dreißigjährige Krieg (1618-48) das Wirtschaftsleben weitgehend zum Erliegen. Immerhin führt Pohlmann von 1601 bis 1697 noch 34 Erfindungsprivilegien auf(1). Auch im 18. Jahrhundert folgte die Vergabe den alten Grundsätzen; z. B. erhielt in Sachsen 1723 der Orgel- und Klavierbauer Gottfried Silbermann für sein "Cimbal d`amour" oder Tangentenklavier ein Privileg. Es heisst darin er habe durch unermüdeten Fleiß und Nachsinnen...ein ganz neues sonst niemahlen bekanntgewesenes Musicalisches Instrument erfunden(2).


Der Berliner Buchdrucker Unger verlangte 1793 für seine Erfindung einer neuen Art deutscher Lettern ein ausschließliches Herstellungs- und Verkaufsprivileg
(3). Der mit dieser Frage betraute Staatsminister Friedrich Anton von Heinitz empfahl dem Generaldirektorium, der obersten Staatsbehörde in Preußen, das nachgesuchte Privileg auf 12 Jahre zu erteilen, um den Erfinder für seine Mühe und finanziellen Aufwand zu entschädigen. Im September 1793 gewährte der preußische König Friedrich Wilhelm II. das Privileg, worin besonders die Neuheit und die Notwendigkeit des Schutzes vor Nachahmung betont wurde. Grundlage waren die Bestimmungen des preußischen Allgemeinen Landrechts von 1793. Nach diesem Recht gehörten Erfindungsprivilegien zu den dem König vorbehaltenen Angelegenheiten.

Es gab also keinen Rechtsanspruch, der Erfinder war auf die Gnade des Herschers angewiesen(4). Zwischen 1796 und 1815 sind in Preußen 9 Patentgesuche bzw. -erteilungen aktenkundig. Sechs davon betrafen die Seiden- bzw. Baumwollherstellung. Nach dem Krieg von 1806/07 begannen Reformen, z. B. wurde 1810/11 die Gewerbefreiheit eingeführt. 1810 erstellte Staatsrat Gottlieb Joh. Chr. Kunth, Erzieher der Brüder Humboldt, einen ersten ausführlichen Patentgesetzentwurf. Er befasste sich mit Vorprüfung, Veröffentlichungspflicht, Patentgebühren, Schutzdauer usw. Durch den Krieg 1812/15 verzögerte sich die Weiterarbeit an dem Gesetz. Staatskanzler von Hardenberg legte den Gesetzentwurf dem König vor. Friedrich Wilhelm III. ließ den Entwurf kürzen, auch wurde er nicht Gesetz, sondern in Verordnungsform bekannt gemacht.


Dieses
Publikandum zur Ermunterung und Belohnung des Kunsfleißes wurde am 14. Oktober 1815 erlassen. Eine gesetzliche Regelung erfolgte erst mit der allgemeinen Gewerbeordnung vom 17.01.1845. Die Bestimmungen des Publikandums blieben bis 1877 unverändert. Die Schutzdauer konnte 6 Monate bis 15 Jahre betragen, meist wurde sie auf drei Jahre festgesetzt. Die Erfindung mußte neu oder vom Ausland eingeführt sein. Das Patent konnte sich auf ganz Preußen oder auf Teile des Staates erstrecken. Man verlangte eine genaue Beschreibung durch Modelle, Zeichnungen und Text. Die Erteilung war kostenlos, nur der Stempel in Höhe von 15 Silbergroschen war zu zahlen. War die Erteilung kostenlos, so waren die Gesuche oft aussichtslos. Die mit der Prüfung auf Neuheit betraute Technische Deputation wollte dieses Schutzrecht auf wenige wichtige Erfindungen beschränkt wissen. So wurde ein großer Teil der Gesuche abgelehnt.
Ein Ingenieur aus London, F. A. Paget, wurde 1873 auf dem Wiener internationalen Patent-Congress deutlich:

"...In Preussen ist beinahe die unausbleibliche Antwort auf eine Application: Das Ding ist alt. Die preussische Patentcommission, das Tribunal, welches diese Antwort in den meisten Fällen ertheilt, besteht aus neun Herren, meist Professoren und Theoretikern, unbekannt mit den Anforderungen des praktischen Lebens.. .Sie sind demgemäß gewöhnlich unfähig, das in der Praxis wirklich Neue von dem im Principe Alten zu unterscheiden...Ihre Hände sind bereits voll mit privaten, professionellen und anderen Geschäften. In Folge dessen betrachten sie Erfindungen vielmehr als Uebelstände, finden sie höchst unverträglich mit ihrer Gemühtsruhe, ...und beinahe jedes Ansuchen aus Ursachen zu verweigern, welche höchst kleinlich und absurd, und häufig vielmehr gar keine Ursachen sind..."(5)

Zwischen 1820 und 1830 wurden jährlich nur etwa 15 Patente in Preußen erteilt. In den 40er Jahren 50 bis 70 jährlich. Werner Siemens ( das Adelsprädikat "von" wude ihm erst 1888 verliehen) erhielt 1842 ein preußisches Patent für ein galvanisches Vergoldungsverfahren, Laufzeit 5 Jahre. 1847 bekam Alfred Krupp ein Patent in Preußen auf sein Gußstahlgeschütz und 1853 auf nahtlos geschweißte Radreifen für die Eisenbahn.(6)

Im September 1842 einigten sich die Zollvereinsstaaten auf Grundsätze hinsichtlich der Erteilung von Erfindungsgesetzen und Privilegien. Die von Bayern, Sachsen und Württemberg nachdrücklich erstrebte zentrale Behörde wurde nicht geschaffen(7). Die Gesetzgebungskompetenz der einzelnen Vereinsstaaten blieb unangetastet. Ein einheitlicher Erfindungsschutz für das ganze Zollvereinsgebiet war also nicht erreicht worden.

Um 1850 wurden in Preußen fast 90% aller Patentgesuche abgelehnt. So auch das Gesuch von Sir Henry Bessemer für sein Verfahren zur Stahlgewinnung. Er erhielt 1856 in England ein Patent, aber nicht in Preußen.(8)

Um diese Zeit griffen patentfeindliche Strömungen aus England und Frankreich auf Preußen über, z. B. die Freihandelslehre von Adam Smith. Der Glasgower Professor Adam Smith (1723-1790) meinte u. a., staatliche Nichteinmischung und freier Wettbewerb führt zum Wohlstand einer Nation. Smith selbst war kein Gegner des Patentwesens(9). Doch die von ihm begründete Lehre wurde um die Mitte des 19. Jahrh. in Deutschland nun so ausgelegt, dass für durch Patente eingeräumte Alleinrechte kein Platz sei.

Ein großer Teil der veröffentlichten Meinung sprach sich für die Abschaffung der Patenterteilung aus: Die Patente sind reif zum Fallen und werden mehr und mehr als eine faule Frucht am Baume der menschlichen Kultur erkannt; in Vierteljahreszeitschrift für Volkswirtschaft und Kulturgeschichte, 1869, S.106. (siehe auch die Argumente der Antipatentbewegung)

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Quellenangaben
Links und E-Mail


(1) Pohlmann, GRUR, 1960, Nr. 6. Seite 282, 283

(2) Marcel Silberstein, Erfindungsschutz und merkantilistische Gewerbeprivilegien, Dissertation, Basel, 1951, Seite 254

(3), (4) Heggen, Die Anfänge des Erfindungsschutzes in Preußen 1793 bis 1815, GRUR, 1974, Heft 2, Seite 76

(5) Der Erfinderschutz und die Reform der Patentgesetze - Amtlicher Bericht über den Internationalen Patent-Congress zur Erörterung der Frage des Patentschutzes, Carl Pieper, Dresden, 1873, Seite 227

(6) Knaurs Geschichte der Technik, Seite 391, 392

(7), (8) Aufsätze: (100 Jahre Patentschutz in Deutschland) Seite 354
(Die Entwicklung der Blasstahlverfahren) Seite 177, beide in: Festschrift, Hundert Jahre Patentamt, Carl Heymanns Verlag
(Bessemers Patent hat die Nr. 356 aus dem Jahr 1856. Damals wurden die englischen Patente nicht fortlaufend nummeriert, sondern in jedem Jahr beginnend mit 1.)

(9) Historische Patentprozesse - Teil II, Mitteilungen der deutschen Patentanwälte, 1996, Heft 12, Seite368

Auch Johann Wolfgang von Goethe bat um ein Privileg, wenn auch nicht um ein Erfindungsprivileg. Mit Briefen vom 11.01.1825 an Metternich und an die Deutsche Bundesversammlung beantragte er:
Daß mir durch den Beschluß der hohen deutschen Bundes-Versammlung für die neue vollständige Ausgabe meiner Werke ein Privilegium erteilt und dadurch der Schutz gegen Nachdruck in allen Bundesstaaten gesichert werde, unter Androhung der Konfiskation und anderer Strafen, welche durch allgemeine gegen das Verbrechen des Nachdrucks künftig erfolgende Bundesbeschlüsse noch festgesetzt werden möchten. J. W. Goethe, Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche, Frankfurter Ausgabe 40 Bände, Bd. 24 Seite 751
Der Kaiser und die Bundesstaaten (Bayern und Württemberg erst nach Intervention des Großherzogs Carl August) erteilten das nachgesuchte Privileg.
aus: Goethes Universalität Von der Naturforschung bis zum gewerblichen Rechtsschutz, Lutz H. Prüfer, Mitteilungen der deutschen Patentanwälte, 1999, Heft 12, Seite 441